Staat 3.0

Die Prognose fällt nicht schwer, dass der Mensch als soziales Wesen auch in fernen Tagen ein Zusammenleben in großen Gesellschaften vorziehen wird. Er wird nicht zu einem Leben in Kleinstgruppen von Jägern und Sammlern zurückkehren. Die Steuerung dieser Gesellschaften aus Millionen von Individuen bleibt zentral für das Wohlergehen der menschlichen Art. Sie wird sich jedoch ändern. Aber wie genau? Welche Auswirkungen wird die Digitalisierung auf diesen für uns alle entscheidenden Aspekt des Zusammenlebens haben?

Staat 3.0 sucht nach Antworten auf diese Fragen. Es handelt von der Zukunft der Steuerung der Gesellschaft durch einen Staat 3.0. In einem solchen geht es nicht mehr nur darum, dass Internettechnologie die Kommunikation zwischen Bürgern und Staat auf ein neues Niveau hebt – ein Konzept, das vor Jahren als Staat 2.0 bezeichnet wurde. Vielmehr liegt der Schwerpunkt darauf, wie Menschen und Maschinen unsere Gesellschaften in zunehmendem Maße digital lenken werden.

Staat 3.0 Heiko Krüger

Das Thema der Gesellschaftssteuerung im anbrechenden Hochtechnologiezeitalter wartet mit einer gewissen Komplexität auf. Bei genauerem Hinschauen fällt auf, dass es sich in zwei große Themenblöcke teilt. Ein erster betrifft konstruktive Fragen, also die Art und Weise, wie staatliche Entscheidungsträger und die ihnen assistierenden Ressorts Technologie gezielt zu Steuerungszwecken einsetzen werden oder einsetzen könnten. Ein zweiter Themenblock betrifft eher destruktive Fragen, also wie Technologie Steuerungsapparate und Steuerungsfundamente gefährden und Gesellschaften von eigentlich angedachten Kursen abbringen könnte.

Inwiefern Künstliche Intelligenz schon bald Abgeordnete, Richter, Beamte und Anwälte ersetzen kann

Dem ersten, konstruktiven Themenblock ist der überwiegende Teil des Buches gewidmet. In ihm wird im Sinne eines Staates 3.0 erörtert, wie Maschinen und Künstliche Intelligenz Aufgaben innerhalb der üblichen Steuerungsketten übernehmen werden und könnten, vom politischen Agenda-Setting über die Gesetzesplanung bis hin zur behördlichen und richterlichen Normumsetzung. Und er geht den Auswirkungen nach, die eine derartige Automatisierung andererseits für uns Bürger, Abgeordnete, Beamte und Richter haben wird. Auch die Einflüsse der Digitalisierung auf die Anwaltschaft gilt es zu berücksichtigen.


Ich gehe dabei futuristisch klingenden, aber ebenso naheliegenden Detailfragen nach, etwa ob die Zukunft mit einer Art künstlichem Superhirn aufwartet, welches die komplette Steuerung unserer Spezies übernimmt. Fragen wie, ob Künstliche Intelligenz für zukünftige Parlamente Gesetzeswerke mit hochwirksamen Steuerungsinstrumenten kalkuliert. Ob sich Smart Cities zu Kommunen transformieren, in denen Entscheidungsautomaten das Sagen haben, ob selbst manche zentrale Aufgabe von Rechtsberatern, Beamten und sogar Richtern nicht doch bald antiquiert sein wird oder ob in Zukunft Protestbewegungen dank KI weniger Kraft aufbringen müssen, um politische Entscheidungsträger zum Handeln zu bewegen. Die für einen solchen Ausblick erforderlichen theoretischen Grundlagen der Gesellschaftssteuerung lege ich in einem Extrakapitel dar.

Auf dem Weg zur Destruktion? Gefahren oder Chancen für Steuerungsapparate und Steuerungsfundamente?

Ende der Zehnerjahre wurden wir Zeugen, wie die „Neue Rechte“, Russland und mazedonische Halbstarke mittels Social Bots, Internettrollen und Falschmeldungen versuchten, Bevölkerungen zu spalten, Wahlen zu manipulieren oder einfach nur schnelles Geld zu verdienen. Sie trugen dazu bei, dass sich der mit dem Fall des Eisernen Vorhangs erledigt scheinende Wettbewerb zwischen Demokratie und Autokratie erneut entfaltete und sich ein breiteres Feld an Aspekten destruktiver Natur öffnete: Aspekte des zerstörerischen Potenzials neuer Technologien für demokratisch ausgerichtete Steuerungsapparate und deren Korsette aus Freiheitsrechten, aber auch stärkende Effekte, die der möglichen Destruktion etwas entgegensetzen.

Dieser Themenblock soll schließlich im Fokus des finalen Teils des Buches stehen. Dabei geht es nicht allein um die Wiederholung der wissenschaftlichen Debatten der letzten Jahre. Vielmehr sollen ebenso die neuesten Entwicklungen im Bereich der Technologie, insbesondere der Künstlichen Intelligenz, berücksichtigt werden. Diese Entwicklungen versprechen starke Impulse für Gegenwart und Zukunft und zwingen zu einer Neubewertung. Unter diesen Vorzeichen werden insbesondere folgende Fragen genauer betrachtet: Führen smarte Algorithmen, die unsere Entscheidungen an Wahltagen mit beeinflussen, zu einer stärkeren Verwässerung der Demokratie? Werden KI-bedingte Umstrukturierungen auf den Arbeitsmärkten sogar die gesellschaftliche Tektonik aufbrechen? Werden wir Bürger mit einer manipulationssicheren App letztlich doch über Gesetze mitbestimmen, um so für die notwendige Vitalisierung der Demokratie zu sorgen? Sollte der Staat jede Regelverletzung, etwa jede Verletzung von Straßenverkehrsregeln, obsessiv verfolgen, schlicht weil er es digital kann und es sich finanziell für ihn lohnt? Wird die Digitalisierung ebenso die Leistungsfähigkeit von Gerichten, Staatsanwaltschaften und Verwaltungen gewährleisten, wenn die geburtenschwachen Jahrgänge zusehends weniger Fachkräfte stellen?

(Auszug aus Heiko Krüger, Staat 3.0, Plassen Verlag 2024)